Zu jung für das Altenheim?
Junge Pflegebedürftige sind Menschen, die aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Die Junge Pflege richtet sich an alle, die unter normalen Umständen mitten im erwerbsfähigen Leben stehen würden. Laut Malteser Hilfsdienst e.V. sind rund 490.000 Pflegebedürftige unter 65 Jahre alt. Das sind knapp 17 Prozent aller pflegebedürftigen Menschen in ganz Deutschland.
„Ich bin Pflege“
Mit einer neuen Kampagne werben die Senioreneinrichtungen des Landkreises Würzburg um Pflegekräfte und lassen diejenigen zu Wort kommen, die es am besten wissen: Pflegerinnen und Pfleger, die erzählen, worauf es im Beruf ankommt. Was klar wird: Kaum eine Arbeit ist vielfältiger und näher am Menschen.
Eine junge Pflegebedürftige ist Lilli Werner (Namen geändert). Sie lebt nach einem Hirnschlag vollstationär in einer Senioreneinrichtung im Landkreis Würzburg. Die Frau ist Mitte 40 und wohnt in einem Pflegeheim, in welches sie eigentlich nicht gehört. Denn das Angebot des Hauses richtet sich laut Heimleitung an die Generation Ü70. Doch nach einem geplatzten Aneurysma und einem Schlaganfall kann sich Lilli Werner nicht mehr selbst versorgen. Sie ist auf eine Pflege rund um die Uhr angewiesen, da sie halbseitig gelähmt ist. Für das Aufstehen, Anziehen und Waschen benötigt sie Hilfe. „Ich kann aber alleine essen, es muss nur kleingeschnitten sein“, sagt Lilli Werner. Um körperlich wieder fitter zu werden, macht sie drei Mal in der Woche Reha-Sport. Aufgrund ihres Alters zählt die Frau aus dem Landkreis Würzburg zum Bereich der „Jungen Pflege“. Sie ist eine der Jüngsten in der gesamten Einrichtung.
Das Zimmer von Lilli Werner ist mit vielen Fotos und Pflanzen persönlich eingerichtet. Freunde, Familie und ihre Patenkinder sind ihr sehr wichtig. So stehen etliche Bilder auf den kleinen Regalen an der Wand über dem Bett oder neben dem Fernseher. Die Motive: der Junggesellenabschied einer Freundin und eine Kollage des Kitzinger Stadtbalkons. Ihr Lieblingsort.
Die junge Frau kann sich auf die Unterstützung ihrer großen Familie verlassen und genießt sonntags das gemeinsame Kaffeetrinken. Da sie Vollzeitpflege benötigt, kommen nur Tagesausflüge infrage. Lillis Vater hat ein rollstuhlgerechtes Auto gekauft. Demnächst geht es an den Brombachsee.
| Praxisprojekt an der THWS: Leitfaden für Junge Pflege
Dass das Thema „Junge Pflege“ sehr unterrepräsentiert ist, möchten die Studierenden der Fachrichtung Gesundheitsmanagement der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS) ändern. In ihrem Praxisprojekt entwickelten sie einen Leitfaden, wie Junge Pflege am Standort Röttingen aussehen könnte. Demnach beschäftigen diese Menschen andere Themen.
So haben einige eine Partnerschaft und benötigen daher ein größeres Bett, damit die Partnerin oder der Partner auch übernachten könnte. Junge Pflegebedürftige ziehen meist ein Einzelzimmer vor, um ausreichend Privatsphäre zu genießen. Zudem arbeiten einige im Homeoffice, weswegen ein Einzelzimmer auch praktischer ist.
Eine Studentin, die sich intensiv mit dem Thema Junge Pflege beschäftigt, ist Lisa Heinrichs. Sie schreibt ihre Masterthesis über die Qualitative Bedarfsanalyse für Junge Pflege in der vollstationären Langzeitpflege. „Ich komme aus der Pflege, denn ich bin gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin“, sagt Heinrichs. Sie arbeitet im Bereich Qualitätsmanagement in den Senioreneinrichtungen des Landkreises Würzburg.
Für ihre Masterthesis führte Heinrichs Interviews mit 13 Menschen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren, die einwilligungsfähig, aber aufgrund einer Erkrankung wie Multiple Sklerose (MS), eines Handicaps oder eines Unfalls pflegebedürftig sind und in einem Altenheim leben. Heinrichs untersuchte, welche Bedürfnisse und Wünsche diese Personengruppe hinsichtlich ihrer Wohn- und Versorgungssituation hat.

Studierende der THWS entwickelten in ihrem Praxisprojekt einen Leitfaden für Junge Pflege.
| Andere Tagesstruktur für junge Pflegebedürftige
„Da junge Pflegebedürftige manchmal erwerbstätig sind, brauchen diese Menschen eine andere Struktur. Abends, wenn sie Feierabend haben, gibt es wenige Betreuungsangebote“, so Heinrichs. Auch das Sportangebot müsse an die Junge Pflege angepasst werden. Hier biete sich beispielsweise Rollstuhlbasketball an. Junge Pflegebedürftige wünschen sich Flexibilität bei Essenszeiten und beim Zu-Bett-Gehen. Individualität ist ebenso wichtig. So möchten manche von ihnen auch die eigenen Möbel mitbringen oder die Wände bunt streichen.

Mit liebevoller Fürsorge setzen die Pflegerinnen und Pfleger alles daran, den Bedürfnissen junger Pflegebedürftiger nach Partnerschaft, flexibleren Tagesstrukturen und einer individuelleren Wohnsituation gerecht zu werden.
|Röttingen: Wohnbereich für Junge Pflege
Gute Voraussetzungen für einen Wohnbereich mit dem Konzept „Junge Pflege“ bietet das Seniorenzentrum Röttingen. „Der barrierefreie Wohnbereich für die Junge Pflege würde im Erdgeschoss eingerichtet werden. Hier gibt es 22 Pflegeplätze, die sich auf 20 Einzelzimmer und ein Doppelzimmer aufteilen“, erklärt Artur Hild, Pflegedienstleiter im Seniorenzentrum Röttingen. Er ist für eine stärkere Präsenz des Themas Junge Pflege. „Es ist Bedarf da. Diese jungen Menschen kommen in der Altenpflege unter, weil es keine andere Option gibt. Aber junge Pflegebedürftige sollten die Chance haben, in so einer Einrichtung bedarfsgerecht zu leben“, sagt Hild. Doch ob und wann genau in Röttingen ein Wohnbereich für die Junge Pflege entsteht, hänge leider aktuell von der Personalsituation ab.

Auf großen Flächen werben die Senioreneinrichtungen des Landkreises Würzburg in Röttingen für das Projekt.

Junge Pflege im Fokus: Lisa Heinrichs erforscht die Wohn- und Versorgungssituation junger Pflegebedürftiger in Süddeutschland.
„Da junge Pflegebedürftige manchmal erwerbstätig sind, brauchen diese Menschen eine andere Struktur. Abends, wenn sie Feierabend haben, gibt es wenige Betreuungsangebote.“
Lisa Heinrichs