>> Irgendwann habe ich nur noch funktioniert. <<
NINA SEEGERS, PFLEGENDE ANGEHÖRIGE
Pflegen, bis nichts mehr geht
Angehörige auf Dauer zu pflegen, ist extrem belastend. Wenn die Pflegenden selbst nicht mehr können, kann eine Reha für pflegende Angehörige helfen.
Für Nina Seegers war das nie eine Frage: Als vor acht Jahren die Großmutter pflegebedürftig wurde, sprang sie ein und kümmerte sich bis zu deren Tod um sie. Genauso, als später der Großvater Pflege brauchte. Seitdem sie ihn pflegt, ist sie tagtäglich für ihn da. Morgens vor dem Dienst fährt die 46-Jährige, die von Beruf Busfahrerin ist, in die Wohnung des 92-Jährigen und sieht nach dem Rechten. Genauso in ihrer Mittagspause und abends nach der Schicht. Einmal am Tag kommt der Pflegedienst, duscht den Opa und macht Frühstück. Alles andere macht Nina Seegers: Sie bringt ihn zu Arztterminen, organisiert alles Nötige, kümmert sich um Post und Medikamente. Sie versucht auch, ihn zur Selbstständigkeit anzuleiten, und lässt sich dafür allerhand einfallen. Wann immer es geht, nimmt sie ihn mit zum Einkaufen und animiert ihn zum Kochen. Wenn der Opa anruft und fragt: „Mädchen, kannst du mal schnell herkommen?“, dann ist sie zur Stelle. Im September 2022 wird der Opa schwer krank. Die Pflege belastet die alleinerziehende Mutter zweier Kinder so sehr, dass sie extreme Rückenschmerzen bekommt. Ihren Rumpf kann sie praktisch gar nicht mehr bewegen, in Händen und Füßen kribbelt es. Dem Opa geht es zwar inzwischen besser, aber Nina Seegers ist am Ende. Sich um die Großeltern zu kümmern, war ihre bewusste Entscheidung. „Früher sind die Großeltern für uns da gewesen, heute brauchen sie unsere Hilfe. Ich will, dass mein Opa in seinem gewohnten Umfeld bleiben kann, und hoffe, dass er noch viele Jahre vor sich hat“, sagt sie mit fester Überzeugung. Gleichzeitig ist ihr klar: „Entweder es passiert etwas, oder ich gehe vor die Hunde.“ Ihre Ärztin empfiehlt ihr eine Reha, die sie in Bad Driburg antritt, wo man auf Rückenschmerzen spezialisiert ist. Außerdem bietet die Klinik ihr an, an einem Programm speziell für pflegende Angehörige teilzunehmen. Sie willigt sofort ein.

>> Mir wurde vieles gezeigt, auf das ich niemals von selbst gekommen wäre. <<
Teufelskreis der Schmerzen durchbrechen Zunächst gilt es, den Teufelskreis aus Schmerzen und Muskelverhärtungen zu durchbrechen – mit Fango, warmen Bädern, Medikamenten, später auch mit manueller Therapie und Krankengymnastik. „Bei Schmerzerkrankungen muss aber immer auch die psychische Komponente beachtet werden“, erklärt der Orthopäde und Ärztliche Direktor der Klinik Dr. Gregor Kosmützky. Was kann künftig im Leben verändert werden, damit die Schmerzen auch dauerhaft besiegt werden? Das wird in Gruppen- und Einzelgesprächen thematisiert.
Nach drei Wochen Reha geht es Nina Seegers deutlich besser. Sie kann den Kopf wieder drehen, die Arme besser bewegen. Neben den Anwendungen und der Physiotherapie fand sie die Schulungs- und Beratungsangebote rund um die Pflege sehr hilfreich. Zum Beispiel hat sie viel über Ergonomie gelernt. Wie man eine Person im Bett umlagert, ohne dass man sich dabei den Rücken kaputt macht. Wie man auf die Toilette hilft, welche Hilfsmittel man im Badezimmer nutzen kann. Was man macht, wenn ein alter Mensch stürzt. Und nicht zuletzt geht es auch um rechtliche Fragen: Was steht einem eigentlich zu? Zwar gibt es auch an ihrem Heimatort Beratungsstellen und Schulungsangebote für pflegende Angehörige, aber davon wusste sie vorher nichts.
Hilfreich ist auch der Austausch mit anderen Betroffenen in der Reha. „Angehörige, die pflegen, sind oft überfordert. Weil sie ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht werden können, bekommen viele ein schlechtes Gewissen, obwohl sie bereits weit über die eigenen Grenzen gehen“, so Dr. Kosmützky. Zu hören, dass es anderen ähnlich geht, bringt oft schon Erleichterung.

DR. GREGOR KOSMÜTZKY, ORTHOPÄDE UND ÄRTZLICHER DIREKTOR IN BAD DRIBURG
Abstand und Ruhe Auch psychisch hat die Reha bei Nina Seegers einiges angestoßen. Vorher war sie so ausgelaugt, dass sie gar keinen Antrieb mehr hatte. Gleichzeitig konnte sie sich keine Ruhepausen gönnen, stand ständig unter Strom, um nicht ins Nachdenken zu kommen. In der Reha ändert sich das. Sie kann auch mal abschalten, Abstand gewinnen, zur Ruhe kommen. „Wenn ich abends allein in meinem Zimmer bin, genieße ich das so richtig. Ich freue mich über hereinfallende Sonnenstrahlen oder wenn draußen die ersten Krokusse blühen. Zeit für mich – das ist wichtig.“ Wenn sie nach Hause kommt, will sie manches ändern. Sie will eine ambulante Psychotherapie machen und im Zusammenleben mit ihren 16 und 21 Jahre alten Kindern klare Regeln aufstellen. Aufgaben verteilen, anstatt alles selber zu machen. Für den Rücken macht sie weiter Physiotherapie, und sie will einen ergonomischen Sitz für die Arbeit beantragen. Dass sie den Opa weiter pflegt, steht für sie außer Frage. Aber sie weiß jetzt, wie sie Hilfe bekommt und wie sie sich selbst dabei nicht aus den Augen verliert. „Ich kann das wirklich nur empfehlen.“

Klinik Berlin in Bad Driburg
Reha für pflegende Angehörige – bei Bedarf mit Kurzzeitpflege vor Ort
Fünf Millionen Menschen sind in Deutschland pflegebedürftig, 80 Prozent werden zu Hause gepflegt. Da die Pflege für die Angehörigen körperlich und psychisch sehr belastend ist, ist der Bedarf an Rehabilitation groß.
Die Klinik Berlin in Bad Driburg richtet sich an pflegende Angehörige, die eine Reha in den Bereichen Innere Medizin und Orthopädie machen. Sie haben zusätzlich die Möglichkeit, an einem speziell auf pflegende Angehörige zugeschnittenen Programm teilzunehmen, das je nach Bedarf psychologische Versorgung, sozialdienstliche Unterstützung, Ergonomieschulung und aktivierende Pflege beinhaltet.
Viele Rehabilitandinnen und Rehabilitanden kümmern sich für die Zeit der Reha heimatnah um eine stationäre Kurzzeitpflege. Das ist auch oft sinnvoll, um Abstand zu gewinnen. Aber manchmal ist eine Trennung schwierig, zum Beispiel, wenn eine Demenz vorliegt. Für diese Fälle bietet die Klinik Berlin in Bad Driburg die Möglichkeit, zusammen anzureisen und die oder den Angehörigen im nahegelegenen Philipp-Melanchthon-Zentrum zur Kurzzeitpflege unterzubringen. So bleiben beide in engem Kontakt. www.reha-klinik-berlin.de